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Was die Überwachung mit uns macht

Entscheidung des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung ausgeführt:"Eine vorsorgliche anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsdaten über sechs Monate ist unter anderem deshalb ein so schwer wiegender Eingriff, weil sie ein Gefühl des ständigen Überwachtwerdens hervorrufen kann; sie erlaubt in unvorhersehbarer Weise tiefe Einblicke in das Privatleben, ohne dass der Rückgriff auf die Daten für den Bürger unmittelbar spürbar oder ersichtlich ist. Der Einzelne weiß nicht, was welche staatliche Behörde über ihn weiß, weiß aber, dass die Behörden vieles, auch Höchstpersönliches über ihn wissen können." Das Bundesverfassungsgericht nennt das eine diffuse Bedrohung.

Ändert das Gefühl des Überwachtwerdens unser Verhalten?

Unbestreitbar Fakt ist, dass unsere Daten überall gespeichert werden — von Behörden, auf Webseiten, in sozialen Netzwerken, von der NSA. Die Liste ist lang und wird immer länger. Das ständige Überwachtwerden ist also nicht mehr länger nur ein Gefühl, sondern Tatsache. Die große Frage dabei ist: Verändert sich dadurch unser Verhalten? Die Antwort ist: Ja. Das Verhalten ändert sich schon dadurch, dass man darüber nachdenkt, ob man bestimmte Aussagen bedenkenlos treffen kann. Wenn ich jetzt in einer E-Mail an eine Freundin die Wörter Bombe und Koran in verschiedenen Sätzen ohne Zusammenhang schreibe, lande ich garantiert auf dem Radar von BND und NSA. Ich könnte ja einer Terrorzelle angehören.

Als ich gefragt wurde, ob ich einen Artikel für Digitalcourage e. V. mit Namensnennung schreiben möchte, habe ich tatsächlich erstmal überlegt, ob ich die Namensnennung möchte und was dann die Folgen sein könnten. Dieses "Nachdenken" ist eine Verhaltensänderungen. Früher hätte ich mir darüber nämlich keine Gedanken gemacht. Wenn man aber von der Überwachung weiß, macht man sich eben Gedanken — zumindest sollte man das. Wer die Petition für Edward Snowden gezeichnet hat, hat sich hoffentlich vorher überlegt, ob er zukünftig in die USA reisen möchte. Schließlich ist die Einreisekontrolle streng und schon manch einem wurde die Einreise verweigert. Zumindest besteht die Möglichkeit, dass man nach Zeichnung der Petition nicht mehr einreisen darf — schließlich hat man sich für den Staatsfeind Nr. 1 ausgesprochen.

Die daraus resultierende Einschränkung der Meinungsfreiheit

Art. 5 GG: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

Habe ich dieses Recht wirklich, wenn ich mit negativen Konsequenzen zu rechnen habe? In dem Moment, in dem ich darüber nachdenke, ob ein bestimmtes Verhalten oder die Verwendung eines bestimmten Wortes meinerseits, irgendwelche Auswirkungen haben könnte, ist die Meinungsfreiheit nicht mehr wirklich frei. Frei ist sie nur dann, wenn ich sagen und schreiben kann, was ich will. Wenn ich dadurch eben nicht auf dem Radar von BND und NSA lande und mit einer Überwachung meiner Person rechnen muss. Die Meinungsfreiheit wird schon dadurch eingeschränkt, dass ich meine Meinung eben gerade nicht mehr bedenkenlos äußern kann. Ich bin dazu gezwungen, mir vorher über die Konsequenzen meines Handelns und Denkens Gedanken zu machen und das Pro und Contra abzuwägen. Und ich muss mir überlegen, welchen Quellen ich im Internet für meine Recherche nutze, sonst geht es mir so wie einem Ehepaar in England.

erneut geplante Vorratsdatenspeicherung

Die erneut geplante Vorratsdatenspeicherung verschlimmert die Problematik noch. Was ist, wenn das, was ich sage, schreibe oder tue, gespeichert wird? Was passiert, wenn meine Äußerungen zwar jetzt im Moment unbedenklich sind, in drei Monaten aber auf einmal bedenklich? Dann würde die Überwachung und die Speicherung dazu führen, dass ich am Besten meinen Mund halte, keine E-Mails mehr schreibe, keine Gespräche mehr führe und am Besten auch nichts mehr recherchiere. Vielleicht schaffe ich dann auch lieber mein Smartphone ab, schließlich kann man damit Bewegungsprofile erstellen. Ich kann nicht wissen, ob in drei Monaten neue Gesetze existieren, nach denen meine Äußerungen nun einen Straftatbestand erfüllen. Vielleicht gibt es auch einen Regierungswechsel oder eine Diktatur, in der Bürger mit einer bestimmten Freizeitaktivität, die anhand des Bewegungsprofils nachgewiesen werden kann, nicht erwünscht sind. Wer kann das schon wissen? Und gerade weil man weiß, dass die Behörden vieles wissen, und man nicht weiß, was zukünftig passiert, ist man vielleicht schon ein keines bisschen vorsichtiger geworden in seiner Meinungsäußerung.


28.11.2013 Sandra Böhm, mailandra-boehm.de.
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